Köln (dapd). 33 Prozent der Deutschen in erwerbsfähigem Alter hat Angst vor Altersarmut. Besonders Geringverdiener äußern diese Sorge, wie der am Donnerstag veröffentlichte neue ARD-„DeutschlandTrend“ ergab. Demnach fürchten 58 Prozent der künftigen Rentner mit einem Monatseinkommen von 1.500 Euro netto und weniger Armut im Alter. Bei Einkommensbeziehern zwischen 1.500 und 3.000 Euro netto sind es 40 Prozent, bei Befragten der Einkommensgruppe über 3.000 Euro netto noch 15 Prozent. Von den aktuellen Rentnern geben 69 Prozent an, sie hätten ihren „früheren Lebensstandard als Rentner in etwa halten“ können. 9 Prozent der Rentner beklagen hingegen Altersarmut. Als Mittel dagegen halten 33 Prozent die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeschlagene Zuschussrente für einen richtigen Weg. 40 Prozent sind für die Einführung einer Mindestrente, wie sie die SPD diskutiert. 23 Prozent der Befragten finden, „jeder sollte selbst für eine angemessene Rente sorgen“. Für den „DeutschlandTrend“ wurden im Auftrag der ARD-„Tagesthemen“ 1.003 Wahlberechtigte befragt. dapd (Politik/Politik)
Schäuble und Draghi wollen mehr Europa
Potsdam (dapd). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, werben für ein engeres Zusammenwachsen der europäischen Staaten. Andernfalls drohe Europa der baldige Absturz in die Bedeutungslosigkeit, warnte Schäuble am Donnerstag bei der Verleihung des M100-Medienpreises an Draghi in Potsdam. Der EZB-Chef hatte Stunden zuvor den unbegrenzten Kauf von Anleihen taumelnder Eurostaaten angekündigt. Dazu schwiegen beide Redner jedoch weitgehend. Schäuble behauptete augenzwinkernd, wenn er geahnt hätte, dass die Preisverleihung ausgerechnet auf den Tag der EZB-Entscheidung fallen würde, hätte er es sich seine Zusage für die Rede wohl noch einmal überlegt. Einen Kommentar zum Anleihekauf lehnte er ab. Die Unabhängigkeit der EZB sei ein hohes Gut „und fordert eine große Zurückhaltung“, sagte der CDU-Politiker. Er warnte allerdings die Politik davor, Aktionen der EZB als leichten Ausweg aus der Krise zu sehen. „Die Demokratie neigt dazu, lieber den bequemeren Weg zu gehen“, sagte Schäuble. Deshalb müsse die Unabhängigkeit der Zentralbank unbedingt gewahrt bleiben. Die Probleme der Finanzpolitik dürften nicht mit geldpolitischen Maßnahmen bekämpft werden. Auch die Hoffnung, Europa könne aus den Schulden „einfach herauswachsen“, sei trügerisch. Notwendig seien vielmehr weitere Schritte, um die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Staaten zu überwinden. Diese Unterschiede seien nämlich „unser größtes Problem“. „Mühsam, kompliziert, bürokratisch“ Schäuble betonte die überragende Bedeutung der weiteren europäischen Integration. „In der Welt der Globalisierung werden wir in diesem Jahrhundert alle irrelevant werden, wenn es uns nicht gelingt, Europa zu einen“, sagte er. Die weitere Integration sei „mühsam, kompliziert, bürokratisch“, aber auch sehr erfolgreich. Als besonders wichtig kennzeichnete Schäuble die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Befürchtung, dass die Eurozone auseinanderfallen könnte, wies er kategorisch zurück. „Dieser Euro ist und bleibt eine stabile Währung, die nicht auseinanderbrechen wird“, sagte er. „Alle, die darauf wetten, werden ihr Geld verlieren“, sagte Schäuble voraus. Europa sei die größte zusammenhängende Wirtschaftsregion der Welt. Dies zeige, dass die Einführung des Euro richtig gewesen sei. Draghi wandte sich gegen die Auffassung, gegen die Eurokrise helfe eine Rückkehr zu mehr Nationalismus. Das Gegenteil sei der Fall. Notwendig sei eine neue „institutionelle Architektur“ für die europäische Zusammenarbeit, mahnte Draghi. Die bisherige Struktur habe die Erwartungen nicht erfüllt. Der EZB-Präsident plädierte in diesem Zusammenhang für eine „breite demokratische Unterstützung“ der europäischen Integration. „Es muss mehr getan werden, damit die Bürger in Europa gehört werden“, sagte er. Draghi forderte in seiner ansonsten auf Englisch gehaltenen Rede auf Deutsch „mehr demokratische Teilhabe“ und „eine europäische Öffentlichkeit“. Hier komme es auch auf die Medien an. dapd (Politik/Politik)
Schiedsverfahren über EnBW-Kaufpreis in Paris gestartet
Paris/Stuttgart (dapd). Der milliardenschwere Rückkauf von Aktienanteilen am Karlsruher Energieversorger EnBW durch das Land Baden-Württemberg ist seit Donnerstag Gegenstand eines Verfahrens vor einem Internationalen Schiedsgericht in Paris. Die grün-rote Landesregierung klagte vor der International Chamber of Commerce (ICC) auf Rückzahlung von zunächst mehr als 840 Millionen Euro durch den französischen Stromkonzern Électricité de France (EdF). Am ersten Verhandlungstag wurde nach Angaben des baden-württembergischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums die Höhe der Schiedsklage auf 834 Millionen Euro reduziert. Gründe dafür wurden nicht genannt. Ein Ministeriumssprecher hatte zuvor gesagt, das Land fordere von EdF das Geld zurück, das die alte Landesregierung zu viel gezahlt habe. Das Schiedsgerichtsverfahren werde diesen Sachverhalt jetzt klären. „Wir hoffen, dass wir im Interesse der Steuerzahler dieses Geld zurückbekommen“, sagte der Sprecher. Auf Veranlassung des Gerichts werde das weitere Verfahren vertraulich geführt. Der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte Ende 2010 rund 45 Prozent der Anteile an Deutschlands drittgrößtem Stromkonzern für fast 4,7 Milliarden Euro zurückgekauft. Die jetzige grün-rote Landesregierung hält den Kaufpreis für zu hoch und klagt deswegen wegen nach EU-Recht unzulässigen Beihilfen für die EdF. Gutachten bewertet gezahlten Preis als zu hoch Das Land stützt sich bei seiner Klage auf ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thorton. Der Expertise zufolge war das EnBW-Aktienpaket bei Verkündung des Deals am 6. Dezember 2010 3,83 Milliarden Euro wert. Baden-Württemberg hatte pro Aktie einen Preis von 41,50 Euro inklusive Dividende gezahlt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass ein Preis von 34,05 Euro angemessen gewesen wäre. Experten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatten einem Medienbericht zufolge schon kurz nach dem Kauf der EnBW-Aktien vor wirtschaftlichen Problemen gewarnt. Die LBBW habe bis 2013 mit einem Rückgang des Ergebnisses vor Zinsen und Steuern (Ebit) um 22 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro und einem Absinken der Dividende von 1,50 auf 1,15 Euro gerechnet, berichtete das „Handelsblatt“ unter Berufung auf eine Analyse der Bank. Die LBBW hatte im Auftrag des zweiten EnBW-Hauptaktionärs, des Zweckverbands Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), den Kaufpreis überprüft. Entscheidung fällt voraussichtlich 2013 Die LBBW-Experten wiesen dem Blatt zufolge auf zahlreiche Risiken für die Aktie hin, beispielsweise sinkende Margen in der Stromproduktion. Die Analyse stammt den Angaben zufolge vom 3. Februar 2011 und wurde damit noch vor dem deutschen Ausstieg aus der Atomkraft erstellt, der den Karlsruher Energieversorger mit damals vier Kernkraftwerken finanziell schwer traf. Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hatte das Geschäft im Nachhinein für verfassungswidrig erklärt, weil das Parlament umgangen wurde. Gegen Mappus, den ihn beratenden Investmentbanker Dirk Notheis und zwei ehemalige Kabinettsmitglieder ermittelt die Staatsanwaltschaft mittlerweile wegen des Anfangsverdachts der Untreue und der Beihilfe dazu. Die Ermittlungen liefen noch, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Donnerstag. Eine Entscheidung über die Schiedsklage wird nicht vor 2013 erwartet. Sollte Baden-Württemberg das Geld zurückerhalten, will Grün-Rot den Betrag in die Schuldentilgung stecken. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Lufthansa-Chef hat Gewerkschaft unterschätzt
Frankfurt/Main (dapd). Lufthansa-Chef Christoph Franz räumt ein, die Entschlossenheit der Flugbegleitergewerkschaft UFO unterschätzt zu haben. Er habe Streiks in diesem Umfang nicht erwartet, sagte Franz am Donnerstag im ZDF-„Heute Journal“ mit Blick auf die ersten Arbeitsniederlegungen von UFO-Mitgliedern. Die Lufthansa habe sich aber auf den für Freitag angekündigten bundesweiten Streik eingestellt und früh einen Sonderflugplan herausgegeben. „Wir müssen unseren Kunden verlässliche Informationen und auch einen Flugplan bieten, den wir dann verlässlich abfliegen“, sagte der Vorstandsvorsitzende. Wegen der Streikankündigung der Gewerkschaft hat die Lufthansa für Freitag etwa 1.200 ihrer 1.800 Verbindungen gestrichen. Die Flugbegleiter fordern fünf Prozent mehr Gehalt und den Verzicht der Lufthansa auf die Gründung von Billiglohngesellschaften. Die Fluggesellschaft bietet Entgelterhöhungen von 3,5 Prozent an, den Verzicht auf Leiharbeit, auf betriebsbedingte Kündigungen und auf befristete Verträge. (Liste der gestrichenen Lufthansa-Flüge: http://url.dapd.de/xbCill ) dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Wickert-Gattin Jäkel neue starke Frau bei Gruner + Jahr
Hamburg (dapd). Die mit dem früheren „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert verheiratete Topmanagerin Julia Jäkel ist die neue starke Frau beim Großverlag Gruner + Jahr. Die 40-Jährige rückt in den Vorstand auf und übernimmt dort die Verantwortung für das schwächelnde Deutschlandgeschäft. Der bisherige Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz muss wie erwartet gehen: Er hatte sich mit der Muttergesellschaft Bertelsmann überworfen. Buchholz scheide „einvernehmlich aus dem Unternehmen aus“, teilte der Verlag am Donnerstag mit. Der Manager hatte vor gut einer Woche sein Amt als Vorstandsmitglied der Muttergesellschaft Bertelsmann fristlos niedergelegt. Medienberichten zufolge reagiert Buchholz damit auf steigenden Druck des Medienkonzerns auf höhere Renditen und andere Einflussversuche aus der Gütersloher Zentrale. Julia Jäkel hatte in den vergangenen Jahren eine steile Karriere bei Gruner + Jahr hingelegt: Sie war geschäftsführende Redakteurin der erfolgreichen Klatschzeitschrift „Gala“, Verlagsleiterin bei der „Financial Times Deutschland“, Verlagsleiterin der „Brigitte“ und zuletzt Chefin der Verlagsgruppe „G+J Life“, in der zahlreiche Blätter zusammengefasst sind. Allerdings wird Jäkel nur Vorstandsmitglied neben Finanzchef Achim Twardy und Auslandschef Torsten-Jörn Klein, aber nicht Vorstandschefin. „Ich freue mich auf die Aufgabe, G+J Deutschland, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen, in eine gute Zukunft – Print und digital – zu führen“, erklärte sie. Jäckel ist seit fast zehn Jahren mit dem 30 Jahre älteren Ulrich Wickert verheiratet. Gruner + Jahr verlegt unter anderem die Magazine „Stern“, „Geo“ und „Brigitte“ sowie die Tageszeitung „Financial Times Deutschland“. Der Verlag gehört zu 75 Prozent Bertelsmann und zu 25 Prozent der Gründerfamilie Jahr. Zuletzt war der Gewinn drastisch eingebrochen, weil die Anzeigenaufträge in der Krise schwinden. Nach unbestätigten Berichten will die Familie ihren Anteil an Bertelsmann verkaufen. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Nach der Pleite geht Betrieb auf P+S Werften teilweise weiter
Schwerin (dapd). Atempause für die P+S Werften: Rund eine Woche nach dem Insolvenzantrag können mit einer zusätzlichen Geldspritze von vier Millionen Euro offenbar zumindest am Standort Wolgast die laufenden Reparaturarbeiten weitergehen. „Wir haben zum Glück weiteres Geld mobilisieren können“, sagte der vorläufige Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann am Donnerstag im Anschluss an die erste Versammlung des Gläubigerausschusses in Schwerin. Das Geld sei von einem Guthabenkonto losgeeist worden. Noch vor einigen Tagen hieß es, das noch vorhandene Guthaben von etwa einer Million Euro reiche nur noch eine Woche aus, um die Kosten des laufenden Betriebs zu decken. „Die Kosten drücken aber nach wie vor sehr“, beklagte Brinkmann. Anders als bei den Reparaturaufträgen ruhen allerdings derzeit an beiden Standorten, der Peene-Werft in Wolgast und der Volkswerft in Stralsund, die Arbeiten an Neubauprojekten. Zunächst müsse geklärt werden, ob die Besteller die Schiffe noch haben wollen, sagte Brinkmann. Diese hätten zwar ganz grundsätzlich weiterhin Interesse signalisiert, jedoch Bedenken wegen der Liefertermine geäußert. „Etliche Interessenten“ für die Werften Verzögerungen bei der Auslieferung mehrerer Fähren hatten zu Liquiditätsproblemen der P+S Werften geführt, welche wiederum die Insolvenz ausgelöst hatten. Geld soll in Zukunft entweder durch einen sogenannten Massekredit oder als Vorfinanzierung von den Bestellern der in Arbeit befindlichen Schiffe kommen, beides werde derzeit verhandelt. Für beide Werften gebe es „etliche Interessenten“, sagte Brinkmann nach Gesprächen mit möglichen Käufern auf der Schiffbaumesse SMM in den vergangenen Tagen. Namen und Summen nannte er jedoch nicht, da es Vertraulichkeitsvereinbarungen gebe. Weiterhin bestehe die Möglichkeit, die beiden Werften einzeln oder im Verbund zu erwerben. „Wir wollen beide Standorte erhalten, und wir wollen möglichst viele Leute an beiden Standorten halten“, sagte der Bevollmächtigte der IG Metall Stralsund, Guido Fröschke. Er sitzt als Arbeitnehmervertreter im Gläubigerausschuss. Derzeit bummelt nach Angaben Brinkmanns ein Großteil der Belegschaft Überstunden ab. Löhne in Höhe von 3,6 Millionen Euro waren Anfang des Monats in Form von Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur ausgezahlt worden. Im Gläubigerausschuss sitzen Vertreter der Arbeitsagentur, der Arbeitnehmer, der Lieferanten, der Kleingläubiger, der NordLB und des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Jede Institution hat eine Stimme. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
SPD kritisiert McAllister wegen Autogrammkarte
Hannover (dapd-nrd). Die niedersächsische Staatskanzlei verstößt nach Ansicht der SPD mit einer Autogrammkarte von Ministerpräsident David McAllister (CDU) gegen die Neutralitätspflicht. Auf der vom Steuerzahler bezahlten Karte werde auf die CDU-Seite von McAllister verwiesen, kritisierte der SPD-Landesgeschäftsführer Michael Rüter. „Die Staatskanzlei lässt vom Steuerzahler Material bezahlen, das eindeutig zum Vorteil der CDU in Niedersachsen verwendet wird. So machen sie sich zum Wahlhelfer des CDU-Spitzenkandidaten McAllister“, sagte er. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1976 dürften sich Staatsorgane aber nicht in Wahlkämpfe einmischen. Regierungssprecher Franz-Rainer Enste sagte, er habe selbst das Problem bereits erkannt, eine neue Autogrammkarte sei in Arbeit. „Ich gehe davon aus, dass wir in 14 Tagen diese dann fertig haben“, sagte er. dapd (Politik/Politik)
Regierung will Gesetz zu Beschneidung vorlegen
Berlin (dapd-bln). Die Bundesregierung will klare Regeln für religiöse Beschneidungen vorlegen. „Die entstandene Rechtsunsicherheit wird durch eine bundesgesetzliche Regelung schnell beseitigt werden“, versprach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Donnerstag Juden und Muslimen. Viele Bundesländer warten auf die Bundesregelung, wie eine dapd-Umfrage ergab. Das Kölner Landgericht hatte Ende Juni die Beschneidung von Jungen – also die Entfernung der Vorhaut am Penis – als strafbare Körperverletzung gewertet, selbst wenn die Eltern einwilligen. Daraufhin war eine politische Debatte entbrannt, die auch international für Aufsehen sorgte. Der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) stellte nun eine Übergangsregelung vor, mit der in dem Bundesland ab sofort die Beschneidung unter strengen Voraussetzungen straffrei ist. Juden und Muslimen reicht das Berliner Modell nicht aus. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, begrüßte den Schritt zwar als Signal zugunsten der Religionsfreiheit. „Aber die konkrete Zwischenlösung hilft uns nicht weiter“, sagte er der „Frankfurter Rundschau“. Die jüdischen Beschneider könnten zwar beschneiden, müssten sich nach dieser Regelung aber im Anschluss einer Einzelfallprüfung und möglicherweise einem Ermittlungsverfahren unterziehen. „Ich frage mich also, worin für uns die Verbesserung liegt“, sagte Kramer. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, äußerte ebenfalls Kritik an der Berliner Übergangsregelung. „Man darf Religion nicht bürokratisieren“, sagte Mazyek der Nachrichtenagentur dapd. Die Berliner Regelung sieht vor, dass Eltern die religiöse Motivation der Beschneidung nachweisen müssen.“Gewissensprüfungen sind jedermanns eigene Sache, es ist problematisch, das über Verwaltungsregeln abzufragen. Das ist auch nicht Aufgabe des Staates“, kommentierte Mazyek. Gemeinsamer Appell für Religionsfreiheit Juden und Muslime verteidigten mit einem flammenden Appell für die Religionsfreiheit und gegen Kriminalisierung und Bevormundung ihre Tradition der Beschneidung von Jungen. Man sei entsetzt über eine von Vorurteilen und diffusen Ängsten geprägte Diskussion, „die teils hysterische Züge annimmt und antisemitische und antiislamische Stereotypen bemüht“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Aufruf zu einer Kundgebung am Samstag in Berlin. In der Erklärung heißt es: „Juden und Muslime stehen urplötzlich da als ‚Kinderquäler‘, als schlechte und lieblose Eltern, die an wehrlosen Kindern angeblich archaische und blutige Rituale vollführen.“ Dabei sei der Eingriff selbst „rein medizinisch weltweit akzeptiert“ und nicht zuletzt darum von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, die die Vorteile der Praxis betone, etwa was das Risiko einer Krankheits-Übertragung oder Hygiene allgemein angehe. Leutheusser-Schnarrenberger bekräftigte derweil die Zuständigkeit des Bundes und erklärte im dapd-Interview: „Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass über die Beschneidungsdebatte Antisemitismus Vorschub geleistet wird. Wir brauchen lebendiges jüdisches Leben in Deutschland.“ Warten auf eine Bundesregelung Nach der Berliner Lösung warten die meisten Bundesländer auf eine Regelung auf Bundesebene. Die Landesregierungen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betonten am Donnerstag, sie planten keine eigene Regelung. In Hessen und Sachsen soll weiterhin im Einzelfall entschieden werden, ob religiös motivierte Beschneidungen als Straftat verfolgt werden. Thüringen zeigte Interesse an der Berliner Übergangsregelung. „Wir finden den Berliner Standpunkt interessant, prüfen aber derzeit noch das weitere Vorgehen“, sagte ein Sprecher des Landesjustizministeriums am Donnerstag in Erfurt. dapd (Politik/Politik)
EU-Kartellwächter drohen Chinas Solarbranche mit Strafzöllen
Brüssel/Berlin (dapd). Die Europäische Union riskiert einen Handelskrieg mit China, um ihre kriselnde Solarindustrie vor Billigimporten aus der Volksrepublik zu schützen. Nach einer Beschwerde von 25 europäischen Firmen eröffnete die Brüsseler EU-Kommission am Donnerstag das größte Antidumping-Verfahren ihrer Geschichte. Frühestens in 60 Tagen und spätestens nach neun Monaten können die EU-Kartellwächter nun vorläufige Strafzölle gegen Chinas Solarimporte verhängen, deren Wert im vergangenen Jahr bei 21 Milliarden Euro lag. Für definitive Maßnahmen gegen den wichtigsten Handelspartner der Europäer in Asien braucht die Kommission innerhalb des 15-monatigen Prüfungszeitraums die Zustimmung der Mitgliedsstaaten. Dafür reicht eine einfache Mehrheit. Trotz der Eröffnung des Verfahrens bleibt die Chance, mit der chinesischen Seite zu verhandeln. Chinas Regierung erklärte „tiefes Bedauern“ über den Schritt. Einschränkungen für Chinas Solarfirmen würden nicht nur den Interessen der chinesischen und europäischen Solarwirtschaft schaden, sondern auch der gesunden Entwicklung der weltweiten Solarenergie und der erneuerbaren Energien, sagte ein Sprecher des Handelsministeriums. Der Konflikt sollte durch Verhandlungen und Gespräche beigelegt werden. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte kürzlich bei ihrem China-Besuch auf eine solche Lösung gedrungen. Ebenso äußerte sich am Donnerstag auch die Europäische Handelskammer in China. „Die beste Lösung ist, sich an einen Tisch zu setzen“, sagte Kammerpräsident Davide Cucino in Peking. Das Vorgehen der EU-Kommission ist auch in der Solarwirtschaft umstritten. Die Allianz für bezahlbare Solarenergie (AFASE), ein Firmenverbund aus Europas Branche, mahnte die Brüsseler Kartellwächter, am freien Wettbewerb festzuhalten. Schritte hin zu einem Protektionismus seien kurzsichtig, erklärte der Verband. Doch die EU-Kommission sah sich zum Handeln gezwungen. Die Beschwerde der Herstellerinitiative EU ProSun vom Juli habe Hinweise geliefert, dass Chinas Exporteure mit Dumpingpreisen „die europäische Industrie schädigen“, sagte ein Sprecher von Handelskommissar Karel De Gucht. Brüssel sei daher „rechtlich verpflichtet“ zu dem Verfahren. Das Firmenbündnis EU ProSun, zu dem auch die deutsche Solarworld zählt, wirft China vor, mit illegalen staatlichen Subventionen die Preise auf dem Weltmarkt zu drücken. Durch den ruinösen Preiskampf seien allein in 2011 mehr als 20 europäische Firmen aus der Produktion ausgestiegen oder in die Insolvenz gegangen. Auch Deutschlands Solarbranche sieht in der Billigkonkurrenz aus China den Grund für ihre tiefe Krise. Viele Unternehmen, darunter Solar Millennium, Solon und Q-Cells, haben bereits Zahlungsunfähigkeit angemeldet. Chinas Solarfirmen haben den Vorwurf des Dumpings stets zurückgewiesen und vor einem Handelskrieg gewarnt. „Protektionistische Maßnahmen würden die Kosten der Solarenergie in Europa erhöhen und europäische Arbeitsplätze in der Solarindustrie gefährden“, erklärte die Suntech Power am Donnerstag. Zwtl.: USA haben bereits Strafzölle für Chinas Solarimporte verhängt Der Präsident von EU ProSun, Milan Nitzschke, bezeichnete die Einleitung des Verfahrens als einen wichtigen Schritt für fairen Wettbewerb. „Zudem werten wir das Antidumping-Verfahren als starkes Signal, das die EU China die kontinuierliche Verletzung des Handelsrechts durch Dumping nicht durchgehen lässt“, sagte er. Die Kommission lasse sich von „den üblichen chinesischen Drohgebärden“ nicht unter Druck setzen. Strafzölle würden nicht zu höheren Preisen führen. „Es wird auch weiter einen Abwärtstrend bei den Preisen für Solarstrommodule geben, parallel zum technischen Fortschritt, parallel zur kontinuierlichen Senkung der Herstellungskosten und entsprechend fairen und freien Wettbewerbsbedingungen“, sagte Nitzschke. In den USA hatte Solarworld bereits Erfolg mit einer ähnlichen Antidumping-Klage. Das US-Handelsministerium verhängte im Mai Strafzölle von bis zu 250 Prozent auf Solarimporte aus China. In Europa muss es aber nicht so weit kommen. „Wir hoffen, dass die chinesische Seite schon in dem 15-monatigen Prüfungszeitraum durch die EU zu vernünftigem Wirtschaften zurückfindet“, sagte Solarworld-Chef Frank Asbeck. Experten warnten davor, die Einleitung des EU-Verfahrens schon als durchschlagenden Erfolg zu sehen. „Der Einstieg in die Prüfung ist noch keine Vorentscheidung“, sagte der Chef-Analyst des Berliner Zentrums für Solarmarktforschung, Leonard Herbig. dapd (Wirtschaft/Wirtschaft)
Landtag lehnt nächtliches Alkohol-Kaufverbot ab
Wiesbaden/Frankfurt (dapd-hes). Ein nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol wird es in Hessen vorerst nicht geben. Der Landtag in Wiesbaden lehnte am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD mit den Stimmen von CDU, FDP und Linken ab, die Grünen enthielten sich. SPD-Gesundheitsexperte Thomas Spies begründete den Vorstoß seiner Partei mit der wachsenden Tendenz zum „Komasaufen“ bei Jugendlichen. Tatsächlich vermerken die Ersatzkrankenkassen in Hessen einen Anstieg beim „Rauschtrinken“. Die übrigen Fraktionen sagten hingegen, ein komplettes Kaufverbot helfe da nicht. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse wurden im vergangenen Jahr insgesamt 617 Teenager wegen eines akuten Rausches in hessische Krankenhäuser eingeliefert, in diesem Jahr seien es 306 gewesen. Das habe eine aktuelle Auswertung der Ersatzkassen in Hessen ergeben. 2010 mussten den Angaben zufolge 571 Heranwachsende wegen übermäßigen Alkoholkonsums behandelt werden, 2009 seien es 565 Heranwachsende gewesen. Die Techniker Krankenkasse wies zudem darauf hin, dass allein die Ersatzkassen in Hessen 2011 für die stationäre Behandlung der alkoholisierten 13- bis 19-Jährigen rund 368.000 Euro ausgaben. 2012 waren es 183.000 Euro. Spies betonte, übermäßiger und gefährlicher Alkoholkonsum stelle „ein wachsendes und zunehmend unterschätztes Problem“ dar. Die SPD hatte deshalb in ihrem Gesetzentwurf ein komplettes Verkaufsverbot von Alkohol zwischen 22.00 Uhr und 5.00 Uhr vorgesehen. Winzer und andere landwirtschaftliche Betriebe sollten davon ausgenommen werden. Grüne wollen Erfahrungen in Baden-Württemberg abwarten Spies sagte, auch die Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) halte die Begrenzung des Zugangs zu Alkohol für entscheidend. Der SPD-Entwurf schaffe einen angemessenen Ausgleich zwischen maßvollem Genuss einerseits und der Vermeidung von Übermaß andererseits. Das sahen CDU und FDP allerdings nicht so: Die CDU-Landtagsabgeordnete Irmgard Klaff-Isselmann sprach von Bevormundung der Bürger und betonte, die Stärkung von Selbstverantwortung und Selbstwert bei Jugendlichen sei geeigneter, das Ziel zu erreichen. Verbote lösten das Problem nicht, bekräftigte FDP-Wirtschaftsexperte Jürgen Lenders. Auch sei die Abgabe von Alkohol an Personen unter 16 Jahren „ohnehin bereits verboten“, und das gelte rund um die Uhr. Die Linkspartei lehnte das SPD-Gesetz gemeinsam mit Schwarz-Gelb ab. Skeptisch zeigten sich auch die Grünen: Ob ausgerechnet ein verändertes Ladenöffnungsgesetz der Schlüssel zu einer Lösung sei, sei zweifelhaft, sagte die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Monne Lentz. Präventive Maßnahmen sowie ein Verbot von Alkoholwerbung seien im Kampf gegen Alkoholmissbrauch sinnvoller. Auch plädierte Lentz dafür, erst Erfahrungsberichte aus Baden-Württemberg abzuwarten. dapd (Politik/Politik)