Arbeit 4.0 – Der Roboter „baxter“ im Smart Automation Laboratory ist speziell für die Zusammenarbeit mit Menschen entwickelt. (Foto: Universität Paderborn, Johannes Pauly)
Arbeit 4.0 – Der Roboter „baxter“ im Smart Automation Laboratory ist speziell für die Zusammenarbeit mit Menschen entwickelt. (Foto: Universität Paderborn, Johannes Pauly)

Arbeit 4.0: Mit Szenariotechnik zum Mitarbeiter 4.0

Paderborn. Arbeit 4.0, Halbzeit beim Wissenschaftsjahr: „Arbeitswelten der Zukunft“ lautet das Motto, unter dem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgewählte Projekte zur Thematik fördert und deren Relevanz so der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich macht. Durch Digitalisierung, alternative Arbeitsmodelle und künstliche Intelligenz verändert sich die Art und Weise, wie Menschen arbeiten.

Wie Wissenschaftler der Universität Paderborn die Arbeit von morgen durch ihre Forschung mitgestalten, wird im Themenspecial „Arbeit 4.0″ dargestellt. Neben technischen Innovationen werden insbesondere auch gesellschaftspolitische Implikationen beleuchtet.

Themenspecial Arbeit 4.0

„Der Begriff Arbeit 4.0 ist erst im Jahr 2011 entstanden – die Idee dahinter ist aber viel älter. Die sogenannte „Theorie der langen Wellen“ (Kondratjew-Zyklen) geht auf den sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew zurück“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Iris Gräßler, Wissenschaftlerin an der Universität Paderborn und Leiterin des Lehrstuhls für Produktentstehung an der Fakultät für Maschinenbau.

„Bereits 1926 erklärte er, warum sich die Produktivität nicht gleichmäßig, sondern in „langen Wellen“ entwickelt. Durch eine neue Basisinnovation wird ein Paradigmenwechsel ausgelöst. Zunächst wird massenhaft in diese neue Technologie investiert und damit ein Aufschwung hervorgerufen. In der Zeit des Abschwungs kommt es typischerweise zu einem ökonomischen Mangel, der durch weitergehende Produktivitätssteigerung nicht zu befriedigen ist, sodass ein neues Paradigma erforderlich wird. Es kommt zu neuen Entdeckungen und Erfindungen.“

Brisant an der Kondratjewtheorie sei, so Gräßler, dass ein langer Strukturzyklus nicht nur ein ökonomischer, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Vorgang ist. Denn die ganze Gesellschaft organisiere sich neu, um die Basisinnovation optimal zu nutzen. „Und genau das erleben wir gerade mit Arbeit 4.0 und der Diskussion rund um eine Digitalisierung in der Bildung“.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Lehrstuhl für Produktentstehung beschäftigen sich konkret mit der Frage, wie Menschen zukünftig in Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme eingebunden werden können.

Sollten maschinelle Algorithmen Entscheidungen des Menschen vorwegnehmen oder nur vorbereiten? Wie kann der Mensch den Zustand eines solchen komplexen Systems durchschauen und im Notfall eingreifen? Wie können Erfahrungen einzelner Mitarbeiter und Präferenzen in die maschinelle Entscheidungsfindung einfließen? „Zudem beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die Entwicklung in der Zukunft aussehen wird und welche Auswirkungen Industrie 4.0 auf die Beschäftigten in der Entwicklung, in der Arbeitsplanung etc. haben wird.“, so Gräßler.

„Mithilfe der sogenannten Szenariotechnik, einer unserer Forschungsschwerpunkte, versuchen wir diese Entwicklung nun vorauszuahnen. Es bietet sich die Möglichkeit, den Blickwinkel zu vergrößern und Fragestellungen zu beantworten wie: Wie viel und welche Unterstützung durch Assistenzsysteme ist sinnvoll? Welche Entscheidungsunterstützung können technische Systeme den Verantwortlichen anbieten und welche Kompetenzen werden wir in Zukunft brauchen? Arbeit 4.0 setzt hier an.“ Mit dem Smart Automation Laboratory steht den Wissenschaftlern eine Forschungsinfrastruktur zur Verfügung, mit der Erkenntnisse zu diesen Fragestellungen gewonnen werden können.

Im Smart Automation Laboratory wird Industrie 4.0 in die Praxis umgesetzt. Das Labor im Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn dient der Forschung in den Bereichen Produktions- und Automatisierungstechnik sowie der anwendungsnahen Untersuchung von Geschäftsprozessen. Im Wesentlichen besteht das Labor aus drei Fertigungsstationen (einer Drehmaschine, einem 3D-Drucker und einer Fräsmaschine), einem Materialflusssystem, einem Montageroboter und weiteren Industrierobotern, die die Fertigungszellen und den Montageroboter mit dem Fließbandsystem verbinden.

Alle Komponenten sind mit Rechnersystemen ausgestattet, sodass sie ihren eigenen Status kennen und mit anderen Komponenten und Diensten kommunizieren können. Dienste wie Auftragsmanagement, Energiemanagement und Qualitätsüberwachung überwachen zentrale Aufgaben des Produktionssystems. Zusätzlich aus dem Internet gewonnene Daten, wie z. B. Material- und Energiepreise, werden bei der Planung berücksichtigt.

„Ein wichtiger Aspekt der Forschung in dem Labor ist die Untersuchung der Rolle des Beschäftigten in einer solchen Umgebung. Zentraler Untersuchungsgegenstand ist hierbei, wie Informations- und Kommunikationstechnologie eingesetzt werden kann, um die Arbeit für den Beschäftigten zu erleichtern“, so Gräßler. Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung und Automatisierung stellen sich viele Arbeitnehmer die Frage, ob Industrie 4.0 zum Verlust des eigenen Arbeitsplatzes führen könnte. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen braucht man in Zukunft?

„Wir müssen zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Auswirkungen einer Digitalisierung unterscheiden. Zum einen gibt es Tätigkeitsfelder, die sich verändern und in denen gewisse Tätigkeiten automatisiert werden – auch im Dienstleistungsgewerbe. Es ist ja heute schon häufig so, dass der Mensch nur noch eine Mitteilung überbringt, die Entscheidung z. B. über die Kreditzusage aber bereits von Algorithmen getroffen wurde. Zum anderen müssen Menschen Informationen nutzen, die von komplexen Algorithmen berechnet und möglichst verständlich dargestellt werden“, erklärt Iris Gräßler.

Die Additive Fertigung – oft vereinfacht als 3D-Druck bezeichnet – ermögliche es beispielsweise, komplexe, an die Belastung angepasste Formen zu fertigen. Anstelle der klassischen Konstruktion würden solche Bauteile heute mithilfe von Simulationen konstruiert. Der Mensch müsse an dieser Stelle die vom Computer angezeigten Berechnungen interpretieren und auf dieser Basis eine Entscheidung zur konstruktiven Gestaltung treffen. „Das kann auch sicherheitskritische Systeme betreffen.

Ein „Mitarbeiter 4.0“ muss also hier nicht nur im Allgemeinen, sondern auch ganz speziell in Bezug auf die Anwendungssoftware „digitale Kompetenzen“ besitzen“, so Gräßler weiter. „Ein gefordertes Kompetenzprofil lässt sich einfach nicht verallgemeinern nach dem Motto: so lange ich gut mit dem Computer umgehen kann, ist mein Job sicher. Vielmehr ist es wichtig, sich individuell weiterzubilden und weiterzuentwickeln, mehr Verantwortung auch für sich selber zu übernehmen und offen für neue Tätigkeitsfelder zu sein. Schon heute kommen Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen zum Einsatz. Ergebnisse sind dann nicht mehr mit herkömmlichen Ansätzen validierbar, wir müssen in der Forschung neue Wege in diesem Bereich vorbereiten. Verharrt man hierbei auf alten Denk- und Arbeitsweisen, wird man also auch als sehr gut ausgebildete Fachkraft Schwierigkeiten bekommen.“

www.upb.de

Veröffentlicht von

Sascha Brinkdöpke

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