Sexualität wurde im Kloster Ettal tabuisiert

Sexualität wurde im Kloster Ettal tabuisiert München (dapd). Demütigungen, Ohrfeigen, Kopfnüsse und Schläge mit dem Schlüsselbund, sexuelle Übergriffe und Missbrauch: Es ist ein erschütterndes „allgemeines Gewaltklima“, das die wissenschaftliche Studie des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) beschreibt, die am Donnerstag in München vorgestellt wurde. Doch die Forscher begnügten sich nicht mit einer Darstellung der Grausamkeiten, die die Patres den Schülern zugefügt haben, sondern fragten vielmehr nach den Ursachen für die psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt im Zeitraum zwischen 1945 und 1990. Ermöglicht wurden die Taten durch das Zusammenspiel vielfältiger Faktoren, wie der Münchner Psychologieprofessor Heiner Keupp erläuterte: Da waren das jahrhundertealte eigenständige Handlungssystem einer kirchlichen Einrichtung, die strengen Hierarchien sowie ein „institutioneller Narzissmus“, der eigene Fehlentwicklungen zu vertuschen versuchte. Die Wissenschaftler machten in Ettal aber auch eine Tabuisierung von Sexualität, einen Mangel an Kommunikation der Klosterangehörigen untereinander, den Eliteanspruch des Klosters sowie das Vertrauen der Eltern in die Einrichtung als Faktoren aus. Besonders „frappierend“ ist laut Keupp zugleich, „wie gering die pädagogische Qualifikation“ der Lehrer und Erzieher im Ettaler Internat war. Ein Teil der Gewaltausbrüche sei zurückzuführen auf die „pädagogisch völlig überforderten“ Betreuer. Für die Studie führten Psychologen insgesamt 41 Interviews mit Opfern und ihren Angehörigen, weiteren Schülern sowie Klosterangehörigen. Zusätzlich wurden umfangreiche Akten analysiert. „Ringe des Schweigens“ Die Wissenschaftler gingen auch der Frage nach, warum die Misshandlungen über so viele Jahre oder gar Jahrzehnte nicht an die Öffentlichkeit kamen. Über die Taten hätten sich mehrere „Ringe des Schweigens“ gelegt, erläuterte IPP-Geschäftsführer Florian Straus. Auf Seite der Opfer seien dies insbesondere die Sprachlosigkeit angesichts der unfassbaren Taten, Scham und Angst vor Ausgrenzung sowie eine Tabuisierung gewesen. Ähnliche Mechanismen stellten die Psychologen auch bei den Eltern fest. Bei diesen hätten vor allem das Konstrukt „heile Familienwelt“ und der Glaube an die das Gute im Katholizismus gewirkt: „Es war für viele Eltern unvorstellbar, dass Hände die segnen, auch schlagen“, sagte Straus. Bei den Patres wiederum hätten Ahnungslosigkeit, Tabuisierung von Sexualität und Gewalt sowie das Vertrauen in die Hierarchie eine Rolle gespielt. Die Studie schließt mit sieben Empfehlungen an das Kloster: Nötig sei ein gelebtes Präventionskonzept, die Sicherung einer professionellen Pädagogik im Internat sowie ein gemeinsam getragenes Leitbild. Die Wissenschaftler empfehlen ferner, die Hierarchie durch die Förderung von Teamstrukturen aufzuweichen, ein „fehlerfreundliches Kommunikationsklima“ zu fördern und sich für eine „glaubwürdige Verständigung zwischen Kloster und Opfern“ einzusetzen. Darüber hinaus sei eine öffentlich sichtbare Form der Erinnerung sinnvoll – also ein Ort, an dem sich Betroffene und alle Interessierte mit der „Erblast an geschehenem Unrecht“ auseinandersetzen könnten. Keupp attestierte dem Kloster das Bemühen, diese Empfehlungen umzusetzen: „Ich bin froh, dass all die Punkte ein Stück schon auf den Weg gebracht wurden.“ Opferverein zufrieden Der Ettaler Abt Barnabas Bögle, der an der Präsentation der Studie teilnahm, sprach von einem „weiteren wichtigen Schritt in der Aufarbeitung eines dunklen Kapitels in der Geschichte unseres Internats und Klosters“. Zwar habe das Kloster die Untersuchung in Auftrag gegeben, an der wissenschaftlichen Objektivität könne jedoch kein Zweifel bestehen. Die Studie helfe den Ettaler Mönchen dabei, solche Fehler künftig zu vermeiden und „neue Wege einer Kultur des Hinschauens, des Respekts und der offenen Kommunikation“ zu gehen. Der Abt stellte klar, dass die Studie für das Kloster Ettal keinen Schlussstrich darstellt: „Die Aufarbeitung und das Bemühen unsererseits, weiterhin mit den Geschädigten in Kontakt zu kommen und zu bleiben, bildet auch in Zukunft eine Aufgabe und Herausforderung für uns.“ Zufrieden mit der Studie zeigten sich auch Opfervertreter. Robert Köhler vom Verein Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer sprach von einem „großen Meilenstein“ bei der Aufarbeitung der Taten. dapd (Politik/Politik)

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Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

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