Hier ist es schlimm, aber Syrien ist die Hölle

Hier ist es schlimm, aber Syrien ist die Hölle Amman (dapd). Plötzlich ist es finster. Gerade noch war der strahlend blaue, wolkenlose Himmel zu sehen. Jetzt besteht die Luft nur noch aus feinem dunkelgelbem Sand, der vom heftigen Wind gepeitscht in Ohren, Augen, Nasen dringt. Atmung und Orientierung fallen schwer, die Sicht reicht kaum fünf Meter weit. Nach 20 Sekunden ist es vorbei. Ebenso plötzlich, wie er aufkam, hat sich der Wind gelegt. Dirk Niebels weißes Hemd ist nun ockerfarben. Der Entwicklungsminister wischt sich mit einem Stofftaschentuch über die Stirn. Weiter geht’s. Niebel besucht das Flüchtlingslager Saatari im Norden Jordaniens. Etwa 6.000 syrische Flüchtlinge leben hier, jede Nacht kommen neue, oft in dreistelliger Zahl. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und UNICEF wollen das Lager so weit ausbauen, dass notfalls mindestens 100.000 Menschen Platz haben. Überall wird gebaut, Bagger fahren herum, Rohre liegen auf den Wegen. Niebel soll sich jetzt Matratzen ansehen. UNHCR-Vertreter zeigen in einem Zelt, groß wie eine Lagerhalle, womit die Neuankömmlinge ausgestattet werden. Doch der Minister wird abgelenkt durch Geschrei vor dem Zelt. Eine Gruppe jugendlicher Flüchtlinge hat sich versammelt und will den ausländischen Besuchern lautstark klar machen, was sie bedrückt. „Wir können hier nicht leben“, rufen sie auf Arabisch. Wer dafür verantwortlich sei, dass sie hier untergebracht sind, wollen die jungen Männer wissen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen versuchen zu beschwichtigen, ein jordanischer Sicherheitsmann nähert sich. Nach ein paar Minuten ziehen die Männer ab. Im Weggehen skandieren sie im Chor: „Sterben ist besser als hierbleiben.“ Wut und Verzweiflung über die Situation ist überall im Lager zu spüren. Saatari liegt in der Wüste, das Areal wurde von der jordanischen Regierung ausgewiesen. Die Flüchtlinge leben in Zelten, die nur wenig Schutz vor dem harschen Wind und der Tageshitze von über 30 Grad bieten. Jeden Abend werden die Zeltstangen neu in den Boden geschlagen, so sehr zerrt der Wind an ihnen. Der feine, staubige Sand ist überall, viele Bewohner versuchen sich mit Atemmasken aus Plastik ein wenig zu schützen. „Wer noch kein Asthma hatte, der bekommt hier welches“, sagt ein Syrer. Niebel bemüht sich um einen diplomatischen Blick auf die Situation. In der Tat sei das Lager „in einer sehr unwirtlichen Gegend“ gebaut worden, sagt der FDP-Politiker. Doch das habe seine Gründe: „Man muss Verständnis dafür haben, dass so eine Einrichtung nicht auf den knappen Anbauflächen aufgebaut wurde“, betont Niebel. Das äußerst wasserarme Jordanien hat nur wenig fruchtbares Ackerland. So müssen die UN-Organisationen und andere Helfer aus Saatari das Beste aus der Situation machen. Das Technische Hilfswerk arbeitet unter großem Zeitdruck daran, sanitäre Einrichtungen aufzubauen. Es kümmert sich auch um die Trinkwasserversorgung – am Zaun um einen großen Wassertank hängt ein Schild mit einer deutschen Fahne. Ein UNICEF-Mitarbeiter zeigt ein Stück weiter stolz eine kleine Oase: einen Kinderspielplatz mit Schaukeln, einem kleinen Klettergerüst, einer Rutsche aus grünem Plastik. Kinder tollen herum, lachen und sind begeistert, als Niebel mitgebrachte Fußbälle verteilt. Für ein paar Augenblicke ist die schwierige Situation vergessen. Nahe dem Spielplatz stehen ein paar Container. Möglichst bald wollen UNHCR und UNICEF die Zelte mit diesen festeren Behausungen ersetzen. Doch nur fünf bis sechs Container kommen jeden Tag hinzu – viel zu wenig angesichts des Flüchtlingsstroms. Etwa die Hälfte der Lagerbewohner sind Kinder. Wadi ist mit seinen Geschwistern gekommen. Zu den Eltern hat der Elfjährige keinen Kontakt. Ein Verwandter brachte ihn, den einjährigen Bruder und die fünfjährige Schwester über die Grenze. „Hier ist zu viel Staub“, beklagt er. „Ich will wieder zurück.“ Doch die Rückkehr nach Syrien ist für die Bewohner des Lagers keine echte Option. Eine Frau aus der grenznahen Stadt Darra sagt, im Lager sei es unerträglich. Aber eine Rückkehr nach Syrien bedeute den sicheren Tod. „Hier ist es schlimm, aber Syrien ist die Hölle“, sagt die Frau. Niemand im Lager wagt eine Prognose, wie lange der Konflikt in Syrien noch dauern oder wie er ausgehen wird. Die Hilfsorganisationen jedenfalls stellen sich darauf ein, dass die Flüchtlinge lange bleiben müssen. Schon wird für den Winter geplant. Dann drohen wegen der heftigen Regenfälle neue Probleme in Saatari. dapd (Politik/Politik)

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Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

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