Der Bürgerpräsident

Der Bürgerpräsident Berlin (dapd). Die Standarte auf dem Schloss Bellevue wird zur Feier des Tages nicht wehen. Am Montag jährt sich die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten, doch der Amtsinhaber wird nicht da sein. Von Sonntag bis Mittwoch besucht Gauck Äthiopien. Immer wenn das Staatsoberhaupt im Ausland weilt, wird die Flagge eingeholt. Eines hat Gauck in seinem ersten Jahr als Bundespräsident bereits erreicht. Er hat dem Amt, dessen Image nach den Rücktritten von Horst Köhler und Christian Wulff arg ramponiert war, wieder Respekt und Würde verschafft. Gauck ist beliebt bei den Bürgern. Der 73-Jährige redet in einer klaren und kraftvollen Sprache jenseits des üblichen Politiksprechs. Deshalb den agierenden Politikern die Leviten zu lesen, ist nicht Sache des Bundespräsidenten. Er will nicht der Überpolitiker sein, der sich ständig in die Tagespolitik einmischt. Wohl sorgt das Staatsoberhaupt aber mit Äußerungen immer wieder für Stirnrunzeln bei den Politikern. Die eingeschränkte Freiheit des Wortes Als Gauck im vergangenen Sommer im ZDF-Interview Bundeskanzlerin Angela Merkel (CCDU) ermahnte, sie solle den Bürgern die Euro-Krise besser erklären, war man im Regierungslager nicht amüsiert. Ein paar Wochen später lobte Gauck dann ausdrücklich die Kanzlerin, die „stellvertretend für andere benachbarte Nationen“ für einen stabilen Euro kämpfe. Mit Merkel, deren Wunschkandidat Gauck nicht war, steht das Staatsoberhaupt in regelmäßigem Kontakt. Auch ein anderes Mal grenzte sich Gauck von Merkel ab. Bei seinem Israel-Besuch wollte sich der Bundespräsident die Formulierung Merkels, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, nicht zu eigen machen. „Das Eintreten für die Sicherheit und das Existenzrechts Israels ist für die deutsche Politik bestimmend“, sagte Gauck und sorgte für einen Medienwirbel. Auch andere Bemerkungen des Bundespräsidenten ließen aufhorchen. So relativierte er die Äußerung seines Vorgängers Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Und bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel äußerte sich Gauck optimistisch, dass das Bundesverfassungsgericht die Euro-Rettungsschirme „nicht konterkarieren“ werde. Es wurde ihm als Einmischung in die Rechtsprechung ausgelegt. Dem Bundespräsidenten ist bewusst geworden, dass die Freiheit seines Wortes geringer geworden ist und genau auf seine Formulierungen geschaut wird. „Ich habe mich zwar anfangs nicht durchgängig wohlgefühlt, weil ich mich erst daran gewöhnen musste, rund um die Uhr unter Beobachtung zu stehen. Aber bereut habe ich den Schritt nie“, bilanziert Gauck im „Bild“-Interview nach einem Jahr. Doch verbiegen will Gauck sich auch künftig nicht. Es geht ihm darum, das richtige Maß zu finden zwischen dem Bürger und dem Präsidenten Gauck. Der Bürger in ihm soll sichtbar bleiben, was sich auch in einem Interview für die Obdachlosenzeitung „Straßenfeger“ zeigte oder in der Öffnung seines Amtssitzes für die neue Veranstaltungsreihe „Bellevue Forum“. Appelle gegen die Zuschauerdemokratie Am wohlsten fühlt sich der Bundespräsident ohnehin, wenn er mit Bürgern sprechen kann. Sein Bild von Deutschland und den Deutschen habe sich im ersten Jahr seiner Amtszeit „weiter verbessert“, sagte Gauck der „Bild“-Zeitung. „Das liegt an den vielen Menschen, die ich treffen durfte und die in Vereinen und Initiativen dieses Land am Laufen halten. Sie bilden das Rückgrat dieser Gesellschaft. Deutschland kann sich auf seine Bürger verlassen“, betonte Gauck. Sichtlich Spaß hat Gauck vor allem in Runden mit Schülern und Studenten. Besonders mit jungen Leuten diskutiert er gern über seine großen Themen Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Gauck will es nicht allen recht machen, aber er will, dass alle mitmachen. „Engagiert Euch“, lautet sein immer wieder kehrender Aufruf, der an Willy Brandts Worte von „Mehr Demokratie wagen“ erinnert. Und er appelliert an die junge Generation: „Suchen sie Menschen, die ihr Herz bewegen.“ Auf ungeteilte Zustimmung trifft Gauck nicht überall. Die Linke begegnet dem früheren Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde mit Respekt, aber nicht unkritisch. „Er ist eigenständig“, lobte Linke-Fraktionschef Gregor Gysi auf dapd-Anfrage den Bundespräsidenten, fügt aber hinzu: „Ich wünschte mir mehr Engagement gegen Krieg und für soziale Gerechtigkeit.“ dapd (Politik/Politik)

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Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

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