Dann ist der Euro nicht zu halten

Brüssel (dapd). Hat ein Euro-Austritt Athens tatsächlich „längst seinen Schrecken verloren“, wie FDP-Chef Philipp Rösler gerade im Sommerinterview daher plauderte? Sollte die Eurozone das Wagnis eingehen, den Hellenen den Geldhahn zuzudrehen und das Land in die Pleite zu schicken? In Griechenland sorgen die Aussagen aus Deutschland für Wut, an den Märkten für neue Verunsicherung. Denn auch wenn die Währungsunion inzwischen besser für einen radikalen Schritt gewappnet scheint als vor zwei Jahren: Für den Ernstfall rechnen Experten mit massiven Attacken gegen Spanien, Italien und Co., weil ein Austritt plötzlich möglich scheint. Beim „Grexit“ steht die Zukunft des Euros auf dem Spiel – noch immer. Richtig ist: Viele Unternehmen haben sich eingestellt auf den Exit des griechischen Intensivpatienten. Die ausländischen Banken haben sich inzwischen weitgehend aus Südeuropa zurückgezogen. Die Pleite Athens würde also für die deutschen oder französischen Banken nicht notgedrungen einen Lehman-Effekt haben. Doch während die Geldinstitute weitgehend verschont blieben, müsste der Steuerzahler umso stärker bluten: Mit rund 45 Milliarden Euro steht Athen über die laufenden Programme bei der Bundesrepublik in der Kreide – das Geld wäre futsch. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat laut Schätzungen für 50 Milliarden Euro griechische Anleihen gekauft, für rund ein Viertel davon haftet Berlin. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat die Gesamtkosten eines Griechenland-Austritts für Deutschland beziffert: Auf 86 Milliarden Euro. Die größte Gefahr liegt indes nicht in den als schmerzhaft aber verkraftbar anmutenden Abschreibungen. Die größte Gefahr liegt in der Ansteckungsgefahr für andere Wackelkandidaten. Die Zinsen für Spanien schossen am Montag prompt auf ein neues Rekordhoch von 7,46 Prozent, das ist weit im roten Bereich. Auch Italien steht das Wasser bis zum Hals. Zwar wird dafür – bei grünem Licht vom Bundesverfassungsgericht – der dauerhafte Rettungsschirm ESM aufgespannt. „Doch selbst mit dem ESM wird die Eurozone dem Druck nicht lange standhalten können, weil auch im ESM die Mittel zu begrenzt sind“, meint Guntram Wolff, Vizedirektor des Brüsseler Thinktanks Bruegel. Spätestens nach einem Jahr müsste die Grundsatzentscheidung getroffen werden: „Bleiben wir in einem gemeinsamen Währungsraum und nehmen diese Länder komplett vom Markt – oder der Zerfall geht weiter und Spanien und Italien würden den Euroraum verlassen.“ Dass der politische Wille für die erste Variante in Berlin, in Helsinki oder Den Haag groß genug ist, ist mehr als fraglich. Aber ohne diesen unbegrenzten politischen Willen wären die Folgen nicht zu kontrollieren, mein Wolff. „Dann ist der Euro nicht zu halten.“ Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das keine Option, sie hat den Euro als „Schicksalsgemeinschaft“ bezeichnet. Wie weit Rösler bei seinen Zündeleien gedacht hat: Ob er nach Athen auch den Euro fallen lassen würde, oder nur den Verdruss über Griechenland bedienen wollte, sei dahin gestellt. Die Hellenen selbst sind empört. Wie sollen etwa die Privatisierungen vorangetrieben werden, wenn zugleich heftig über die Staatspleite spekuliert wird? Denn das würde die Wirtschaft erst mal ins Chaos stürzen – und alle Investitionen sinnlos machen. Dessen ungeachtet gibt es auch unter Fachleuten Befürworter eines Griechenland-Austritts. So meint etwa Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, nur durch die Einführung einer abgewerteten Drachme könne das Land wieder auf die Beine kommen. Doch damit das klappt, bräuchten die Hellenen Exportgüter, die massenhaft im Ausland gekauft würden. Die sind bisher nicht gefunden. Und die Idee, die Nordländer könnten dem Südland seinen Sonnenstrom abkaufen, wurde auch von Deutschland schon begraben. Das Land steckt in der Sackgasse, und damit auch die Eurozone. Und auch nach zweieinhalb Jahren ist das Licht am Ende des Tunnels noch nicht in Sicht. Weil der Zusammenbruch des Euro zu riskant ist, empfiehlt Schuldenfachmann Wolff, einen anderen Schlussstrich zu ziehen: Nach den privaten müssten auch die öffentlichen Gläubiger – allen voran Deutschland – Griechenland seine Schulden erlassen. Beim Staatsbankrott und Euro-Rauswurf wäre das Geld schließlich auch verloren. „Die Forderungen, die wir aus dem jetzigen Hilfsprogramm haben, die werden wir sowieso nicht zurückbekommen“, sagt er. Ein Schuldenerlasse für Athen: Das würde Griechenland retten. Für die Koalition in Berlin wäre es dagegen der Todesstoß. © 2012 AP. All rights reserved (Politik/Politik)

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Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

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