Karlsruhe soll Vergabestreit im NSU-Prozess entscheiden

Karlsruhe soll Vergabestreit im NSU-Prozess entscheiden Karlsruhe/München (dapd-bay). Der Streit um die Sitzplatzvergabe beim Münchner NSU-Prozess hat jetzt auch das oberste deutsche Gericht erreicht. Am Samstag ging beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Eilantrag der türkischen Zeitung „Sabah“ ein. Er richtet sich gegen die Akkreditierungsbestimmungen und die Nichtzulassung des türkischen Mediums in dem für die Presse bestimmten Bereich, wie Gerichtssprecher Wilfried Holz am Samstag der Nachrichtenagentur dapd sagte. Zugleich hielten politische Forderungen an, das OLG solle im Vergabestreit einlenken und eine pragmatische Lösung finden. Vor dem Oberlandesgericht München muss sich vom 17. April an die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe verantworten. Angeklagt sind auch vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle. Dem NSU werden Morde an neun Kleinunternehmern mit ausländischen Wurzeln und einer Polizistin angelastet. Für den Prozess wurden nur 50 Journalisten mit festen Plätzen zugelassen. Entscheidend war die Reihenfolge der Anmeldung. Medienvertreter aus der Türkei, woher acht der Mordopfer stammen, erhielten keine reservierten Plätze. Vater eines NSU-Mordopfers ruft zum Einlenken auf Der Vater des 2006 von Neonazis erschossenen Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat rief derweil das Gericht eindringlich zum Einlenken auf. Die Entscheidung im Streit um die Platzvergabe habe nur den Neonazis Mut gegeben, mahnte Ismail Yozgat am Samstag in Kassel bei einer Gedenkveranstaltung für seinen Sohn. Der Botschafter der Türkei in Deutschland, Avni Karslioglu, kündigte an, er werde zum Prozessauftakt im Gerichtssaal präsent sein. Das gebiete nicht nur sein Amt, sondern auch die inzwischen enge Verbindung zu den Familien der Mordopfer, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Der türkische Parlamentsabgeordnete Metin Külük appellierte „an die Milde des Gerichts“, doch noch türkische Journalisten an der Verhandlung teilnehmen zu lassen. „Der Prozess wird in der Türkei mit großer Aufmerksamkeit verfolgt“, betonte er. Enormer Imageschaden für Deutschland Die türkische Zeitung „Sabah“ will sich daher noch einen festen Platz im Gerichtssaal erkämpfen. In ihrer Verfassungsbeschwerde greift sie den Angaben zufolge mehrere Grundgesetzartikel auf und rügt Verstöße gegen die Pressefreiheit, gegen die Berufsfreiheit und gegen die Gleichbehandlung. Mit einer Entscheidung des 1. Senats sei in absehbarer Zeit zu rechnen, auf jeden Fall vor Prozessbeginn, sagte der Gerichtssprecher. Die Zeitung fühlt sich zudem in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit verletzt. Der stellvertretende „Sabah“-Chefredakteur Ismail Erel hatte in der vergangenen Woche dem ZDF gesagt: „Wir denken, dass die Pressefreiheit und die Informationsfreiheit auch für die türkischsprachigen Journalisten hier in Deutschland gelten.“ Deswegen wolle man den Prozess live erleben. „Gerichtsverfahren müssen öffentlich sein – auch für türkischstämmige Mitbürger in Deutschland“, sagte Erel. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hielt dem Gericht mangelndes politisches Fingerspitzengefühl vor und sieht schon jetzt einen enormen Imageschaden für Deutschland. „Die politische Dimension ist verkannt worden“, sagte der SPD-Politiker der „Süddeutschen Zeitung“. Er nannte es „unbegreiflich“, dass das Oberlandesgericht bislang nicht erkannt habe, dass die türkische und die griechische Seite berücksichtigt werden müssten. Wenn das Gericht dies nicht sicherstelle, werde die internationale Resonanz verheerend sein. Ramelow für Videoübertragung und Twitter-Berichte Der Fraktionschef der Thüringer Linken, Bodo Ramelow, schlug derweil vor, sowohl eine Videoübertragung zuzulassen als auch das Versenden von Mitteilungen über den Kurznachrichtendienst Twitter aus dem laufenden Prozess heraus. „Es macht doch auch keinen Sinn, dass ich eine Nachricht im Gerichtssaal schreibe, dann für einige Sekunden vor die Tür gehe, um sie zu versenden, und dann wieder in die Verhandlung gehe“, sagte er der Nachrichtenagentur dapd in Erfurt. Für Ramelow kann auch das geltende Verbot von Film- und Tonaufnahmen aus laufenden deutschen Gerichtsverhandlungen nicht als Begründung herangezogen werden, eine Videoleitung in einen Nebensaal zu legen. Dieses Verbot soll Schauprozesse verhindern, wie sie in vielen Diktaturen des 20. Jahrhunderts immer wieder vorkamen. Eine Übertragung des NSU-Prozesses in einen Nebenraum des Gerichts zur Beobachtung durch Journalisten könne jedoch kaum als Schauprozess bezeichnet werden, sagte der Linken-Politiker. Strafrechtler warnt vor Videoübertragung Der Münchner Strafrechtler Bernd Schünemann warnte indes vor einer Videoübertragung in einen Nebenraum. So ein Vorgehen sei nicht zulässig. „Denn damit würde in einem Saal Öffentlichkeit hergestellt, der nicht unter der Kontrolle des Vorsitzenden Richters steht“, sagte Schünemann der dapd. Der Vorsitzende Richter müsse aber die Ordnung im Saal kontrollieren. Ein Wachtmeister könne dies nicht tun. Schünemann sieht allerdings „noch Spielraum“ bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Form der Zulassung von Journalisten. „Es gibt kein Gesetz, das diese einmal getroffene Entscheidung des Gerichts zum Akkreditierungsverfahren für sakrosankt erklärt.“ Möglich sei etwa eine „Topf“-Lösung für lokale, überregionale deutsche und ausländische Medien. dapd (Politik/Politik)

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Peer-Michael Preß

Peer-Michael Preß – Engagement für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region seit fast 20 Jahren. Als geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Press Medien GmbH & Co. KG in Detmold ist er in den Geschäftsfeldern Magazin- und Fachbuchverlag, Druckdienstleistungen und Projektagentur tätig. Seine persönlichen Themenschwerpunkte sind B2B-Marketing, Medien und Kommunikationsstrategien. Sie erreichen Peer-Michael Preß unter: m.press@press-medien.de www.press-medien.de

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